Die dramatischen Missbrauchsvorfälle in einer städtischen Jugendwohngemeinschaft vor einem Jahr und die neuerlichen schlimmen Vorfälle vor einigen Wochen in einer weiteren sind der traurige Anlass dafür, dass die bisherigen Rahmenbedingungen der städtischen Kinder- und Jugend-Betreuung in sozialpädagogischen Wohngemeinschaften noch einmal genauer betrachtet werden müssen. Auch ohne diese schlimmen Vorfälle sollten wohl, wie in vielen Bereichen, immer wieder Überprüfung stattfinden, ob die jeweiligen Rahmenbedingungen und Vorgaben passend sind und den Bedürfnissen und unserer Verantwortung gerecht werden. Jetzt aber müssen wir uns wohl umso mehr und dringlich mit dieser Thematik beschäftigen und auch fachkundige andere Expertisen einbeziehen. Wie bereits in der heutigen Fragestunde angesprochen, haben unterschiedliche ExpertInnen – wie etwa auch die Interessensgemeinschaft der sozialpädagogischen Wohngemeinschaften (IGSWG) oder die Kinder- und Jugendanwaltschaft – sich bereits mehrmals zu Wort gemeldet und auf die schwierige Betreuungssituation im Arbeitsfeld sozialpädagogischer Wohngemeinschaften aufmerksam gemacht. Begründet wird dies mit den spezifischen Problematiken, die die betroffenen Kinder und Jugendliche mitbringen, aber auch mit den teilweise erschwerenden Rahmenbedingungen. Andere externe und interne ExpertInnen wiederum verwiesen immer wieder auf die besondere Behutsamkeit und Sorgfalt, die bei der Anpassung und Adaptierung der jeweiligen sozialpädagogische Konzepte, auf Gruppenzusammensetzungen, Gruppengröße und andere Faktoren gelegt werden muss. So raten ExpertInnen aus diesen und auch aus anderen sozialpädagogischen Jugend-Wohngemeinschaften sowie ExpertInnen aus Wissenschaft, Ausbildung und Praxis zudem zu besonderem Augenmerk auf eine gute Fehler- und Feedback-Kultur, zu kontinuierlichem Überdenken, Ausweiten, Adaptieren und Verbessern sozialpädagogischer Konzepte und Zusatzangebote, auf Einbeziehung der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen und ihrer spezifischen Wünsche und Bedürfnisse und natürlich auf die Einbeziehung der Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge jener sozialpädagogischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich in ihrer tagtäglichen Arbeit für das Auffangen der Kinder und Jugendlichen, ihr Wohl und ihre Weiterentwicklungsmöglichkeiten einsetzen. Transparenz, Offenheit und ein Klima der Fehleranalyse-Kultur sind dabei wichtige Voraussetzung, wie auch die jüngste Tagung der Kinder- und Jugendanwaltschaft zu Fehlerkultur[1] gezeigt hat: Konsens scheint bei all diesen ExpertInnen-Rückmeldungen zu sein: 1.) wie notwendig kooperatives Miteinander bei der Lösungs- und Entscheidungsfindung ist, 2.) die Einbeziehung von internen und externen Fach-ExpertInnen (auf MitarbeiterInnen-Ebene ebenso wie bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen selbst – zusätzlich zu Rückmeldungen aus empirischer Forschung und anderen wissenschaftlichen Unterstützungsformen), 3.) ebenso das kontinuierliche Überprüfen bzw. Ergänzen von sozialpädagogischen Konzepten und Rahmenbedingungen, da Fehler ja - bei allem Bemühen- immer auch im System selbst liegen könnten, 4.) und wie angesprochen die sehr behutsame Vorgangsweise bei der Zusammensetzung und Ausweitung der Wohngemeinschaft-Gruppen um jenen, denen geholfen werden muss, nach krisenhaften familiären Erlebnissen wieder Fuß zu fassen, dieses auch so gut wie irgend machbar zu ermöglichen – und damit unserer Verantwortung für diese Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden – und nicht geleitet werden von "eingeschränkter finanzieller Ressourcen" (in einem der reichsten Länder der Welt[2], zweitreichsten der EU[3]!), "organisationaler Notwendigkeiten", "struktureller Vorgaben" oder anderen Einschränkungen. Dass das Wohl und der Schutz sowie das Angebot zu einer bestmöglichen (geschützten, fördernden, partizipativ ausgerichteten) Weiterentwicklung der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen eindeutig im Vordergrund stehen und das Wichtigste bei Entscheidungen und der Schaffung von Rahmenbedingungen sein sollte, ist wohl bei allen hier klarer Konsens, wie die Diskussionen und Gespräche der letzten Wochen zeigen. Wie dieses Wohl und der Schutz sowie das Angebot am besten verwirklicht werden sollte, dazu sind wir als PolitikerInnen mit unseren unterschiedlichen beruflichen Hintergründen sicher nicht die geeigneten ExpertInnen und sollten es daher auch jenen überlassen, die seit Jahren und Jahrzehnten fachlich auf diesem Gebiet arbeiten und forschen. Umso wichtiger also, dass wir – die wir ja sehr wohl dennoch durch unsere Beschlüsse und unserem Beibehalten oder Verändern der Rahmenbedingungen verantwortlich sind – auf fachliche Expertise von intern und extern zurückgreifen können. Dass die Entscheidungen, die wir zur Absicherung und zum Auffangen der Kinder und Jugendlichen zu treffen haben, sehr weitreichende Konsequenzen haben – vor allem für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, aber auch für die MitarbeiterInnen, die mit ihnen zusammenarbeiten und zusammenleben, sollte auch klar sein. Umso wichtiger also, dass die Entscheidung von möglichst breiter Fachkompetenz begleitet wird und uns Transparenz und ExpertInnen-Feedback bei der Aufarbeitung, Analyse und Entscheidungsvorbereitung unterstützen, damit wir neben der Aufarbeitung des Geschehenen auch für künftige Rahmenbedingungen Sorge tragen, die solche Gefahren wie bei den aktuellen Missbrauchsvorkommnissen – soweit es nur irgend möglich ist – verringern. Fachliche Unterstützung ist dabei also sehr angeraten, so etwa: ñ basierend auf Erfahrungen von Praxis-ExpertInnen, ñ auf Basis empirischer wissenschaftlicher Ergebnisse, ñ unter Hinzuziehung von Fachleuten etwa aus Wissenschaft, Lehre und Praxis (z.B. der Interessensgemeinschaft Sozialpädagogischer Wohngemeinschaften, der Kinder- und Jugendanwaltschaft u.a.), von FachmedizinerInnen aus Bereichen wie der Erwachsenen- sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, ñ und mit möglichst partizipativer Einbeziehung der Wünsche und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen selbst sowie der Erfahrungen der MitarbeiterInnen, damit wir als Stadt Graz bei der etwaigen Anpassung sozialpädagogischer Konzepte und Modelle, bei der Entscheidung rund um etwaige Ausweitung (z.B. auf besonders spezialisierte Jugend-Wohngemeinschaft-Formen oder andere Betreuungsmöglichkeiten wie Pflegeelternplätze u.a.) und vor allem jetzt bei jener für die unmittelbare, aber auch für die längere Zukunft der in Stadtverantwortung befindlichen Betreuungseinrichtungen auf fundierte Analysen, Auswertungen und Empfehlungen zurückgreifen können – damit wir jungen Menschen „ein Zuhause geben, in einer Umgebung, in der sie Geborgenheit, aber auch die Förderung für ihr späteres eigenständiges Leben finden“[4]. Aus diesem Grund stellen wir den Dringlichen Antrag zur weiteren Aufarbeitung der jüngsten Missbrauchsfälle und der spezifischen Rahmenbedingungen und zur ñ Erarbeitung und Präsentation eines „Übergangskonzeptes“ für die aktuelle schwierige Übergangszeit, ñ der Vorlegung und Diskussion der Ergebnisse der ExpertInnenevaluierungen bzw. Oberbehörde-Überprüfung im zuständigen Fachausschuss, ñ einer grundsätzlichen Diskussion im Ausschuss mit fachlich fundierten ExpertInnen unter Einbeziehung des Landesgesetzgebers über die Konzeptionierung der stationären Unterbringungen und der ñ Erarbeitung eines Konzeptes und Diskussion im Ausschuss zur Schaffung weiterer Betreuungsmöglichkeiten wie Wohngemeinschaften, Pflegeelternplätze etc. Dies alles mit Fokus auf eine „lückenlose Aufklärung der Vorfälle, verbunden mit Transparenz“[5] - welche aber selbstverständlich auch dem Opferschutz verpflichtet ist und um die 2013 aus gutem Grund angekündigte „Aufarbeitung der Vorkommnisse, vor allem in Bezug auf 'blinde Flecken' – warum möglicherweise Informationen nicht wahrgenommen wurden und/oder nicht richtig interpretiert wurden, warum potentiell gefährdende Situationen nicht wahrgenommen wurden und/oder falsch interpretiert?“[6] - fortzusetzen. Daher stelle ich im Namen der Grazer Grünen – Alternative Liste Graz den Dringlichen Antrag =1. Das Konzept, das für die Betreuung der Kinder und Jugendlichen in den städtischen Jugend-Wohngemeinschaften von jetzt bis zu einer etwaigen Ausgliederung erstellt wird , wird – wie im letzten Ausschuss für Jugend und Familie, Frauenangelegenheiten, SeniorInnen und Wissenschaft schon diskutiert – dem Ausschuss in seiner nächsten Sitzung zur Information und Diskussion vorgelegt.= =2. Um sowohl dem Gemeinderat fundierte Entscheidungsmöglichkeit ermöglichen zu können als auch um den MitarbeiterInnen der betroffenen Jugend-WGs Einblick in die Bewertung ihrer Arbeit bzw. der Rahmenbedingungen zu bieten, werden die seitens der Stadt beauftragten und von anderen Gebietskörperschaft und Organisationen (wie Land Steiermark) für die Stadt erstellten Evaluierungen dem Fachausschuss zur Verfügung gestellt (soweit datenschutzmäßig notwendig mit entsprechend anonymisierten Stellen).= =3. Damit die Stadt Graz ihrer Verantwortung für Kinder und Jugendliche in schwierigen familiären Situationen auch bei zukünftigen möglichen Änderungen in der Organisationsform fachlich kompetent und dem aktuellen Stand der Forschung gerecht werden kann, diskutiert und prüft der zuständige Gemeinderatsausschuss für Jugend und Familie die Einsetzung eines Fachgremiums mit internen und externen ExpertInnen sowie wissenschaftlichen sozialpädagogischen ExpertInnen, das bei der Planung der weiteren Vorgangsweise fachlich beratend unterstützt.= =4. Das Jugendamt wird beauftragt - auch mit Hilfe des in Pt. 3 genannten Fachgremiums – zu prüfen, welche Möglichkeiten der zusätzlichen Unterstützung die Stadt Graz in ihrer Verantwortung für besonders belastete und traumatisierte Kinder und Jugendliche bzw. Kinder und Jugendlichen in besonderen Krisensituationen anbieten soll, beispielsweise in Form einer erhöhten Betreuungsintensität durch zusätzliches qualifiziertes Personal, durch eine entsprechende Adaptierung des sozialpädagogischen Konzeptes, durch die Schaffung weiterer Pflegeelternplätze etc. Ein Bericht dieser Prüfung ist ehebaldigst dem Ausschuss für Jugend und Familie zur Diskussion vorzulegen.= [1] http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/3554543/fuer-grazer-jugend-wg-keine-qualitaetsverbesserung.story [2] http://kurier.at/wirtschaft/die-reichsten-laender-im-jahr-2050/871.028/slideshow; http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/1456644/Osterreicher-zaehlen-zu-den-Reichsten [3] http://derstandard.at/1385170806903/Luxemburger-bleiben-die-reichsten-Europaeer [4] siehe auch die Position des damaligen Jugend- und Familienstadtrats Detlev Eisel-Eiselsberg, http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/2610236/herbergssuche-ganze-jahr-ueber.story, 23.12.2010 [5] Bürgermeister-Stellvertreterin Dr.in Martina Schröck: http://www.graz.at/cms/beitrag/10208421/5016897/, 05.03.2013 [6] Bürgermeister-Stellvertreterin Dr.in Martina Schröck: http://www.graz.at/cms/beitrag/10208421/5016897/, 05.03.2013