2014 jährt sich der Beginn des Ersten Weltkrieges, weltweit wird der "Großen Katastrophe", wie es aus triftigen Gründen auch hieß, gedacht, die vor 100 Jahren, beginnend mit dem Ultimatum Österreich-Ungarns und der Kriegserklärung an Serbien am 28. Juli 1914 ihren Ausgang genommen hat. Beim Gedenken an den Kriegsbeginn hat Österreich wohl neben anderen (Nachfolge-) Staaten eine besondere Verantwortung, eine Verantwortung für den Umgang mit der eigenen Geschichte, eine Verantwortung für Aufarbeitung und Respekt gegenüber damals von Kriegsauswirkungen und Leid besonders betroffenen Völkern, eine Verantwortung auch ge­genüber Nachkommen der (oft erschreckend unbekannten) zahlreichen Zivilopfer, wie etwa jener zigtausenden Menschen, die in sog. Internierungslagern wie jenem in Graz-Thalerhof ohne jeglichen richterlichen Beschluss inhaftiert wurden und aufgrund der grauenhaften Bedingungen im Lager zu Tausenden zu Tode kamen. Einziger „Grund“ oft: die ihnen vorgeworfene "Russophilie".

Franz Conrad von Hötzendorf ist für die historische Forschung klar Hauptverantwortlicher für die Menschenrechtsverbrechen im Lager Thalerhof, bei dem tausende k.u.k. StaatsbürgerInnen den Tod fanden1, und als Chef des Generalstabes drängte Conrad seinen Kaiser
 
 

zudem ein Jahrzehnt lang auf einen Offensivkrieg gegen Serbien und auch immer wieder gegen Italien – obwohl ihm die militärischen Risiken bewusst waren (andere Bedenken allerdings ohnehin nicht)2.

Über Conrad von Hötzendorf selbst, da sind sich wohl alle "einschlägigen" HistorikerInnen einig, bedarf es keiner historischen Forschung mehr, um seine problematische Person, seine Entscheidungen und Grundhaltungen in den Fragen Präventivkrieg und Internierungslager beurteilen zu können. Zu ihm und seiner Rolle könnte (und sollte man) sofort Informationen und Diskussionsveranstaltungen für die Bevölkerung anbieten, speziell auch aus der Verantwortung heraus, die wir für den Umgang mit unserer Geschichte und als Menschenrechtsstadt haben, sowie auch mit der kritischen Überprüfung einer unhinterfragten Würdigung durch einen so prominenten Straßennamen.

Österreich insgesamt, aber auch jede Stadt, in der in menschenrechtsverachtenden Internierungslagern Menschen inhaftiert waren und ihr Tod bewusst „in Kauf genommen“ wurde, haben eine besondere Verantwortung für ihren Umgang mit dieser Vergangenheit, um solche Schrecken und Menschenrechtsverletzungen nie wieder zuzulassen, aber auch um den Opfern Würdigung zuteil werden zu lassen und die Erinnerung im öffentlichen Raum nicht unhinterfragt jenen zu überlassen, die für diese Grausamkeiten verantwortlich waren.

Eine dieser Formen der Erinnerung im öffentlichen Raum ist die Benennung von Straßen und Plätzen nach historischen Personen oder Ereignissen, die unserer Überzeugung nach eines besonders behutsamen Umgangs bedarf. In diesem Zusammenhang sei auf das Schreiben der Universitätsprofessoren Karl Kaser und Max Haller hingewiesen: „Die Namen von Plätzen, Städten und Ländern besitzen eine hohe symbolische Bedeutung. Identifikation mit einem Ort kann erst entstehen und sich vertiefen, wenn dieser auch einen unverwechselbaren Namen besitzt. So stellt die Namensvergabe eine wichtige öffentliche und politische Entscheidung dar.“

Die Untersuchung von Straßennamen in einer Stadt auf ihre Angemessenheit hinsichtlich heutiger Wertvorstellungen ist auf jeden Fall ein wichtiges Unterfangen, das natürlich aus gutem Grund sämtliche Benennungen aus unterschiedlichen historischen Zeiten umfassen sollte, so wie es ja auch bereits in Planung zu sein scheint. Doch gerade anlässlich des Gedenkjahres 2014 sollte zusätzlich zu dieser – wohl längerfristigen – Aufarbeitung der Grazer Straßennamen auch eine breite Diskussion und Bewusstseinsbildung für die Grazer Bevölkerung initiiert werden, die auch die problematische Rolle einzelner historischer Verantwortungsträger wie eben Conrad von Hötzendorfs darstellt und das Wissen um die menschenverachtenden Vorgänge vor 100 Jahren verbreitert.

Daher plädieren wir für den Start einer breiten und auch von der Stadt Graz selbst offiziell mitinitiierten ausführlichen Information und Diskussion mit Veranstaltungen unterschiedlicher Konzeption und mit verschiedenen KooperationspartnerInnen über die problematische Rolle Conrads: · über Conrads Hauptverantwortung für die Menschenrechtsverletzungen und den Tod Tausender im Lager Thalerhof, · über seine Rolle als einer der vehementesten Kriegstreiber und Offensivkrieg- („Präventivkrieg“)-Befürworter · über die Bedeutung für unsere direkten und näheren Nachbarn, speziell im ehemaligen Jugoslawien, · über die Bedeutung von Namen im öffentlichen Raum und über die verschiedenen Möglichkeiten, die es im Umgang mit Straßennamen gibt, die Vor- und Nachteile, über unterschiedliche Beispiele aus unterschiedlichen Städten (z.B. die Stadt Münster, die tatsächlich eine Umbenennung und einen sehr breiten Diskussionsprozess bei der Umbenennung des dortigen Hindenburg-Platzes3) initiierte.

Ebenso wenig wie eine bloße Umbenennung ohne einen breiten Informations- und Diskussionsprozess wohl wirklich nachhaltige Bewusstseinsbildung bringen würde, wäre es aber auch genauso wenig wünschenswert, gerade in diesem internationalen Gedenkjahr 2014, die Chance auf breite Beschäftigung mit diesem Thema verstreichen zu lassen. Dies könnte passieren, wenn man diese Frage an eine, eher im Verborgenen tagende, Kommission abgeben würde. Zielführender erscheint uns eine breite Palette von Veranstaltungen, diese könnte beispielsweise folgenden Veranstaltungsformate umfassen: · gemeinsame Veranstaltung mit dem Bezirksrat Jakomini (BürgerInnenversammlung) und FachexpertInnen · weitere Vortrags-/Diskussions-Veranstaltungen z.B. im GrazMuseum, zum Beleuchten einzelner Themen rund um Conrad von Hötzendorf und zu Beispielen für den Umgang mit problematischen Straßennamen und unterschiedliche Lösungen in anderen Städten und Ländern · „niederschwellige“ Diskussionstermine im Bezirk Jakomini (und an anderen Orten), wie etwa offene Diskussion-Stammtische, Info-Stände u.ä. · rund um den 28. Juli 2014 (100. Jahrestag des Kriegsbeginns): gemeinsame Kulturveranstaltungen mit KünstlerInnen aus den damals betroffenen ehemaligen Monarchie-Gebieten · die Initiierung eines Geschichte-Labors/Symposiums in Zusammenarbeit mit der Grazer Universität · sowie die Einladung von Nachkommen der im Lager inhaftierten Menschen über bereits vorhandene Kontakte in der heutigen Ukraine und gemeinsame Gedenkveranstaltungen.

Daher stelle ich namens des Grünen Gemeinderatsklubs - ALG folgenden
 
 
 

Dringlichen Antrag

Die Stadt Graz möge als Ergänzung zu einer HistorikerInnenkommission zu Straßennamen folgende Maßnahmen initiieren und unterstützen:

(1) Die Anregung einer breiten Diskussion in der Bevölkerung unter Einbeziehung von FachexpertInnen · über die Rolle Conrad von Hötzendorfs bei der Errichtung und bei der menschenverachtenden Gestaltung der sog. Internierungslager, wie auch bei jenem in Graz Thalerhof, denen tausende Menschen (ruthenische StaatsbürgerInnen Österreich-Ungarns) zum Opfer fielen, · sowie über seine Bedeutung bei Vorgeschichte, Ausbruch, Verlauf des Ersten Weltkriegs und seinen fahrlässigen Entscheidungen und · über die Bedeutung von Namen im öffentlichen Raum und über die verschiedenen Möglichkeiten, die es im Umgang mit Straßennamen gibt.

(2) Die Prüfung von Möglichkeiten für eigene Veranstaltungen durch die verschiedenen Ressorts und Abteilungen (z.B. Bürgermeisteramt, Kulturamt, Referat für internationale Beziehungen u.a.), die zum Gedenken an den 1. Weltkrieg und zur Mahnung vor menschen- und völkerverachtenden Haltungen beitragen sowie die Unterstützung Dritter bei der Bewerbung, Einladung, Koordination solcher Veranstaltungen zum Gedenkjahr 2014.

(3) Die Überprüfung, welche Vorbereitungen bei einer etwaigen Umbenennung der Conrad von Hötzendorf-Straße zu treffen wären, welche Auswirkungen auf AnrainerInnen, Unternehmen und Institutionen zu erwarten wären, welche Möglichkeiten der Unterstützung es da seitens einer Gemeinde geben könnte (z.B. ähnlich lange Übergangsfristen wie in Wien) und welche Kosten entstehen würden

(4) Die Prüfung weiterer Möglichkeiten des Gedenkens und eines angemessenen Umgangs mit der problematischen Straßenbenennung etwa durch (zusätzliche) Errichtung einer Stele/eines Mahnmals am Platz vor dem Landesgericht mit erläuterndem Text sowie die Nutzung digitaler Informationsmöglichkeiten etwa auf der Website der Stadt Graz, auf Online-Stadtplänen u.ä.
 
 
 

Quellen: 1So z.B. nachzulesen in der vom österreichischen Verteidigungsministerium beauftragten Studie des Grazer Univ.-Professors D. Binder zum Lager Thalerhof, in den Recherchen des Schauspielhauses Graz (Anna Badora)/ der Kulturvermittlung Steiermark (Max Aufischer) u.a. zum Theaterstück "Thalerhof" von Andrzej Stasiuk, in der jüngst erschienenen Conrad-Biografie des Historikers Dr. Wolfram Dornik u.v.m. 2 Conrad „war die schwierige Lage sehr wohl bewusst, trotzdem drängte er auf Losschlagen. Als am 28. Juli Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte, wurde ganz Europa in den Krieg gezogen. Für Österreich-Ungarn folgte eine militärische Katastrophe nach der anderen: Die Kriegsplanungen erwiesen sich als Farce, der Aufmarsch wurde zu einer Katastrophe und die Niederwerfung Serbiens war kein Kinderspiel. Als Sündenböcke wurden die südslawische Bevölkerung und die pauschal als „russophil“ bezeichneten Ruthenen im eigenen Staatsgebiet gebrandmarkt. Die von Conrad von Hötzendorf maßgeblich mitgestalteten Rahmenbedingungen sowie Befehle förderten das rücksichtslose Vorgehen gegen die verdächtigte Zivilbevölkerung: allein aus Galizien und der Bukowina wurden rund 7000 als Internierte in Graz/Thalerhof festgesetzt (1767 starben im Lager), mehrere Tausend wurde standrechtlich abgeurteilt und gehängt; hunderttausende Zivilisten wurden zu Flüchtlingen und konnten nie mehr in ihre Heimat zurück.“ (W. Dornik in seiner am 14.1.2014 an GemeinderätInnen und Stadtregierung ausgesendeten Conrad-Kurzbiografie) 3 http://www.muenster.de/stadt/strassennamen/hindenburg.html