Der folgende Text möge an geeigneter Stelle (Überschrift, Sub-Überschrift) ins Programm aufgenommen werden:

Text

Bürgerbeteiligung und Demokratie

Liquid Democracy

Das langfristige Ziel der Piratenpartei Österreichs ist ein Systemwechsel von der repräsentativen bzw. direkten Demokratie hin zu einem System der Liquid Democracy. In einer immer komplexer werdenden Welt sind Methoden gefordert, die den Menschen Instrumente geben, um an politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen – entweder indem sie direkt daran mitwirken oder indem sie ihre Stimme an Menschen delegieren, auf deren Kompetenz sie vertrauen. Durch technische Innovationen und die Möglichkeiten zur Vernetzung im Internet müssen die demokratischen Instrumente nicht mehr strikt in „direkt“ und „repräsentativ“ unterteilt werden. Stattdessen gibt es nun die Möglichkeit, Mischformen und neue Konzepte zu entwickeln und einzusetzen. Wir sehen es als unsere Aufgabe, als Vorreiter zu fungieren, diesen Systemwechsel vorzubereiten und Aufklärungsarbeit zu leisten. Gleichzeitig wollen wir uns den offenen Fragen und Problemen widmen und versuchen, Lösungen mitzuentwickeln. Auch aus diesem Grund verwendet die Piratenpartei Österreichs zur internen Beschlussfassung bereits eine Form von Liquid Democracy.

Grundlagen

In einem System der Liquid Democracy können Stimmberechtigte bei jeder anstehenden Entscheidung ihr Stimmrecht selbst nutzen (wie in direktdemokratischen Systemen) oder es delegieren und ihr Stimmgewicht damit an jemand anderen übertragen. Delegationen können für einzelne Abstimmungen, für Themenbereiche oder für alle Entscheidungen pauschal gesetzt werden; Delegationen können prinzipiell jederzeit eingerichtet, abgeändert oder widerrufen werden.

Liquid Democracy ist damit vollständig rückwärtskompatibel zum derzeitigen System der repräsentativen Demokratie; ein Abstimmen bei einer Parlamentswahl im „alten“ System entspricht einer pauschalen Delegation im „neuen“ System, mit dem Vorteil, dass man diese Delegation flexibel abändern oder widerrufen kann. Weiters bleibt auch bei aufrechten Delegationen jederzeit die Möglichkeit für jede und jeden Stimmberechtigten, trotz einer Themenbereichs- oder Pauschaldelegation bei einzelnen Abstimmungen das Stimmrecht selbst wahrzunehmen.

Vorteile

Liquid Democracy bringt viele Vorteile mit sich. Jede und jeder Stimmberechtigte kann jederzeit direkt und einfach mitbestimmen, wenn das gewünscht wird; es besteht aber eben auch die Möglichkeit, das Stimmrecht flexibler und zielgerichteter an Parteien, Interessensgruppen oder Experten zu übertragen, als dies im derzeitigen System möglich ist.

Auch die Kontrolle des politischen Systems ist durch die Möglichkeit des raschen Widerrufs einer bestehenden Delegation und die Möglichkeit, durch unmittelbare und vorrangige Ausübung des Stimmrechts in einzelnen Abstimmungen direkt einzugreifen, deutlich besser gegeben, als dies selbst bei höchstmöglicher Transparenz und Ermöglichung direktdemokratischer Instrumente im derzeitigen System der repräsentativen Demokratie jemals möglich sein wird.

Schlussendlich ist einer der größten Vorteile, dass man nicht länger sein Stimmrecht bei Wahlen im wahrsten Sinne des Wortes „abgibt“, sondern jederzeit und niedrigschwellig in den politischen Prozess eingreifen kann, um sich und seinen Anliegen Gehör zu verschaffen.

Offene Fragen und Probleme

Es gibt noch einige offene Fragen und zu lösende Probleme diesbezüglich:

  • Die Ausübung des Stimmrechts muss natürlich prinzipiell geheim möglich sein; dies bedingt zunächst einmal die Entwicklung eines sicheren, geheimen, aber dennoch für alle Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbaren E-Voting-Systems, welches es nach wie vor nicht gibt. Wir befürworten und unterstützen jegliche Bestrebungen in Kryptographie und Informatik zur Entwicklung eines solchen Systems und werden neue Entwicklungen und Technologien kritisch beobachten und prüfen.
  • Weiters bewegt sich die Offenheit oder Geheimheit des Abstimmungsverhaltens im Spannungsfeld zwischen Datenschutz/Schutz der Privatsphäre einerseits und Transparenz/Kontrolle der Politik andererseits. Delegationsempfangende, die de facto die Rolle von Abgeordneten im derzeitigen System übernehmen und ausüben, müssen ihr Abstimmungsverhalten offen legen, damit ihre Deleganten dieses prüfen, nachvollziehen und gegebenfalls darauf reagieren können. Mögliche Lösungsansätze wären hier eine Kopplung des Delegationsempfangs an Offenlegung des Abstimmungsverhaltens, evtl. mit einer gewissen Bagatellgrenze (entsprechend dem Anwendungsfall, dass man nur einige wenige Delegationen aus dem Bekannten- und Freundeskreis empfängt), oder als ersten Schritt eine Einschränkung der möglichen Delegationsempfangenden auf Repräsentanten von politischen Parteien und Interessenvertretungen.
  • Wenngleich schon sehr viele Stimmberechtigte den Umgang mit moderner Technik, dem Internet etc. gewohnt und auch darin geübt sind, gibt es doch nach wie vor jene (vornehmlich, aber nicht ausschließlich älteren) Menschen, die damit wenig oder gar nichts anfangen können. Hier gilt es, Mittel und Wege zu finden, welche auch die weniger Technikaffinen einbinden und es ihnen gestatten, an den durch moderne Technik ermöglichten Mitbestimmungskanälen teilzuhaben.
  • Schlussendlich ergeben sich durch die erwartbar stark divergenten Mehrheitsverhältnisse in verschiedenen Bereichen potenzielle Schwierigkeiten. Denkbar ist etwa, dass de facto in Umweltagenden nichts ohne die Grünen und in netzpolitischen Fragen nichts ohne die Piraten entschieden werden kann – die Finanzierung und Budgeterstellung aber weiterhin eher den traditionellen Mehrheiten gehorcht. Zusätzliche Varianz ergibt sich hier durch die jederzeit bestehende Möglichkeit der direkten Stimmrechtsausübung. Hier bedarf es geeigneter Mechanismen für Stichentscheide, Budgeterstellung, Projektfinanzierung, Konsensieren über Themengrenzen hinweg und dergleichen.

Vision

Die Piratenpartei Österreichs verspricht sich von Liquid Democracy eine grundlegende Änderung des politischen Systems. Wer sich an Entscheidungen zu einzelnen Themen oder Themenbereichen beteiligen möchte, hat jederzeit die Möglichkeit dazu. Wer sich in bestimmten Themenbereichen nicht selbst einbringen kann oder möchte, hat die Möglichkeit, Personen ihres bzw. seines Vertrauens damit zu beauftragen.

Begründung

Grundsatzposition unserer Vision für Liquid Democracy: Die Piraten sind davon überzeugt, dass mit den Möglichkeiten von Online-Instrumenten neue Wege für die Demokratie erschlossen werden können. In einer hochspezialisierten und -differenzierten Welt braucht es Mittel und Wege für die politische Entscheidungsfindung, die genau dem entsprechen.